Kaum jemand darf heute seine eigene Meinung äußern, wenn sie von der Norm abweicht, ohne dafür Schelte zu ernten. Also, wenn sie nicht „normal“ erscheint. Kontroverse oder anderslautende Meinungen werden gar nicht erst angehört, um sich dann mit eigenem Nachdenken und vor allem durch gezieltes Nachfragen ein Urteil zu bilden. Viel eher erscheint es so, als ob viel zu viele Menschen allwissend wären. Sie brauchen sich keine andere Meinung anzuhören, weil … sie bereits alles wissen? Weil ihr Urteil wie in Stein gemeißelt von vornherein feststeht. Klar, wir haben Google und Wikipedia. Wir sind so informiert wie noch keine Generation vor uns – aber beeinflusst unsere Diskussionskultur die Ignoranz, die im selben Maße zugenommen wie die Toleranz abgenommen hat?

Wir stecken mitten in einer Krise. Viele von uns haben Zukunftsängste und -sorgen. Wieder einmal zeigt, sich: Wir merken erst, was wir hatten, wenn es verloren ist. – Doch das hilft jetzt nicht wirklich. Aber was noch viel weniger hilft, sind Meinungsverschiedenheiten, die uns in Konflikte verstricken. Außer sie führen über eine gute Diskussionskultur zu einem sozialverträglichen Miteinander.

Es ist niemandem geholfen, wenn aufeinander herumgehackt wird. Wenn die Meinungen von anderen Menschen niedergemacht wird, und gegenseitige Vorwürfe die Kommunikation bestimmen. Es ist sogar kontraproduktiv, wenn über Themen nicht mehr diskutiert wird, sondern Andersdenkende von vornherein verurteilt werden.

Ein weiteres Phänomen dieser Zeit ist, dass Fragen nicht mehr zur üblichen Verständigung zu gehören scheinen. Warum auch, wenn die eigene Meinung bereits feststeht und unveränderbar ist?

Wo ist die Zeit, als wir einander noch zugehört haben? Als wir uns gegenseitig Fragen gestellt haben? Als wir noch miteinander im Dialog waren und am Ende nicht sauer waren, dass wir den Gegenüber nicht von unserer Meinung überzeugen konnten?

Als Konfliktmanagerin habe ich gelernt: Wir können niemandem unsere eigene Meinung überstülpen oder gar ihn überzeugen. Wir können jedoch an Toleranz gewinnen und unserem Gesprächspartner seine Meinung lassen – so, wie sie ist. Und zwar ohne Bewertung und möglichst auch ohne Interpretation. Vorausgesetzt natürlich, die kontroverse Meinung ist nicht systemrelevant, zum Beispiel innerhalb von Unternehmen oder Organisationen. Doch auch dann gilt, es gibt weitaus konstruktivere und effektivere Methoden, um Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen zu führen, als kräftezehrende Dispute.

Dabei ist es absolut einfach und simpel, eine konstruktive Diskussion zu führen. Dazu bedarf es nur zweier Schritte:

  1. Zuhören: Es gibt eine einfache Faustformel: Wer doppelt so viel zuhört, wie er oder sie selbst spricht, ist ein konstruktiver Gesprächspartner. Das ist der erste und absolut wichtigste Schritt für jede Diskussion und jeden Disput.
  2. Fragen: Nicht bewerten, was der Gegenüber sagt, auch nicht interpretieren, sondern fragen und hinterfragen was konkret gemeint ist … wie er zu dieser Ansicht gelangt ist … welche Ereignisse ihn zum dem Schluss gelangen lassen.
    Nur mit Fragen können wir erfahren, worum es unserem Gesprächspartner wirklich geht – ohne Fragen reden wir häufig aneinander vorbei oder geraten in unnötige Konflikte.

Diese beiden Schritte sind die Basis für eine verbesserte Diskussionskultur. Stattdessen erlebe ich es in meinem beruflichen Alltag nur zu häufig, dass Konflikte gar nicht erst entstanden wären, hätten sich die Menschen von Anfang an zugehört und sich gegenseitig Fragen gestellt. Vieles – und nicht nur Missverständnisse – wäre ihnen dann erspart geblieben.

Allerdings ist nicht automatisch jeder Disput mit Fragen und Zuhören zu lösen. Manchmal verbergen sich hinter den Aktionen und Reaktionen der Diskutierenden auch Emotionen, die auf den ersten Blick nicht klar ersichtlich sind und trotzdem die antreibende Kraft darstellen. Diese Emotionen sind stärker als der klare Verstand und müssen vielleicht in dem Moment ausgelebt werden, weil sie sich angestaut haben – in dem Fall ist der Konflikt wie ein Gewitter. Er reinigt die Luft.

Ich habe gelernt, wenn mein Gegenüber schlechter Laune ist oder vermeintlich grundlos meckert, dann hat das vielleicht gar nichts mit mir zu tun. Vielleicht gab es zuvor ein Ereignis, welches meinen Gesprächspartner verärgert hat? Und auch, wenn er sich über mich geärgert hat oder über etwas, was ich gesagt oder getan habe, dann entscheide ich immer noch ganz bewusst, ob ich mir diesen Schuh anziehe oder ob ich mich gar nicht darauf einlasse. – Auch da helfen Fragen: Worum geht es wirklich? Durch Fragen und Zuhören kann man herausfinden, aus welchem Grund die Diskussion nicht konstruktiv und zielführend geführt wird, sondern emotional und destruktiv ausartet.

Wo die Diskussionskultur (aus meiner subjektiven Sicht) deutlich verbesserungswürdig ist, ist in den sozialen Netzwerken. Ich habe zu Beginn der Corona-Krise meinen Twitter Account gelöscht, weil die Umgangsformen für mein Empfinden nicht passend waren. Anderslautende Meinungen wurden teilweise mit absolut inakzeptablen Beiträgen kommentiert. Ich habe teilweise den Umgang miteinander als menschenverachtend empfunden und daher mich aus dieser Plattform zurückgezogen.
Kurz und bündig wird dort die eigene Meinung präsentiert. Menschen verstecken sich hinter Profilen und müssen dem Gesprächspartner nicht gegenübertreten, wenn sie ihn verbal verurteilen. Manchmal könnte man fast den Eindruck gewinnen, so manch einer tippt schneller, als er denkt.

Doch was ist eine ordentliche Diskussionskultur? Auch das liegt im Auge des Betrachters und ist subjektiv.

Für mich stellt ein Spruch, den meine Mama immer gesagt hat, eine gute Basis für konstruktive Kommunikation dar: Sage zu deinem Gegenüber nur das, was du magst, dass er zu dir sagt. – Und erspare dir das, was du selbst nicht hören magst.

So einfach funktioniert eine sozialverträgliche Diskussionskultur. Noch Fragen? Dann höre ich gerne zu: Tel. 0160/81 22 697.

konSENSuelle Grüße, Stephanie Huber
Konfliktmanagerin, Mediatorin (univ.), Geschäftsführerin, Autorin